Als Mitinterpellant habe ich am 11. Dezember 2018 folgende Interpellation eingereicht:
Bund und Kantone experimentieren seit dem Jahr 2000 an Vote électronique herum. Seit dem dritten und bis anhin letzten Bericht des Bundesrates zu E-Voting, welcher Mitte 2013 erschien, sind nur noch E-Voting-Systeme der sogenannten zweiten Generation zulässig: In einer ersten Etappe sollen die vorhandenen Systeme erweitert werden und den Ansprüchen der verifizierten Absicht genügen (individuelle Verifikation). Damit wird das „Problem der unsicheren Plattform“, also der potenziell unsichere Computer der Stimmenden, adressiert. Eine solche Erweiterung war relativ einfach zu realisieren.
Anschliessend sollen in einer zweiten Etappe nur noch Systeme mit universeller (vollständiger) Verifizierbarkeit eingesetzt werden. Beim Erreichen der ersten Etappe können anstatt 30 % (plus Aus-landsschweizer Stimmberechtigte) bis 50 % des kantonalen Elektorats zur Online-Abgabe ihrer Stimme freigegeben werden. Bei der vollständigen Umsetzung fällt die Limitierung weg.
Eine vollständige Verifizierbarkeit (gemäss der zweiten Etappe) lässt sich aber nicht einfach hinzufügen. Sie erfordert eine komplett eigene Systemarchitektur: Komplexe Verfahren garantieren – theoretisch – gleichzeitig das Stimmgeheimnis und schliessen die Mehrfachabgabe einer Stimme und die Manipulation des Systems (auch durch den Betreiber selbst) aus. Umgesetzt und erfolgreich im Einsatz sind entsprechende Konzepte bis anhin in keinem einzigen Land. Unklar ist auch, inwieweit sich mit zukünftigen Methoden der Kryptoanalyse das Stimmgeheimnis vergangener Urnengänge nicht doch aufheben lässt.
Die Tragweite des Berichts von 2013 hat das „Consortium Vote électronique“ – unter ihnen der Kan-ton Aargau – erst zwei Jahre später realisiert, nachdem die Bundeskanzlei im August 2015 sämtliche Gesuche der Kantone des Consortiums zur Nationalratswahl abgelehnt hatte. Einen Monat später war das Consortium Geschichte. „Unser System ist offenbar veraltet. Um es den Sicherheitsvorschriften anzupassen, hätten wir viel Geld investieren müssen“ kommentierte die Freiburger Staatskanzlerin Danielle Gagnaux-Morel den Entscheid.1
Genau davor, weiterhin Geld in ein totes Pferd zu investieren, wurde bereits Ende 2013 eindringlich gewarnt?2 Dennoch hat der Grosse Rat des Kantons Aargau einem weiteren Kredit über CHF 1’139’000.- zur Weiterentwicklung von Vote électronique zugestimmt.
Doch anstatt 2015/2016 mit dem Ende des Consortiums innezuhalten, wurde gerade mal eine Wo-che(!) nach der Ablehnung einer Motion zur Sistierung von E-Voting bis 20203 die Evaluation eines
neuen E-Voting-Systems durch den Regierungsrat verkündet.4 Der Kanton Aargau hat sich in der Folge noch 2016 für das Genfer System entschieden.
Mit dem Zusammenbruch des Consortiums waren nur noch die beiden Systeme vom Kanton Genf und der Post übriggeblieben. Beide können aber bis heute weder die universelle Verifizierbarkeit gewährleisten noch ist der vom Bundesrat geforderte Sourcecode öffentlich. Im November 2018 hat sich nun wiederholt, was bereits 2015 passiert ist: Der Kanton Genf hat – weil er mehr als 2 Millionen Franken in die Überholung seines Systems und die Verbesserung der Sicherheit hätte investieren müssen5 – den Stecker gezogen.
Wenn der Regierungsrat in der Erklärung zur Entgegennahme der Motion 18.222 nun finanzielle Überlegungen als Grund für die Einstellung von CHVote anführt, ist dies Schönfärberei, denn natürlich ist es die Sicherheit, die Geld kostet: Es ist dies die äusserst komplizierte Entwicklung von E-Voting-Systemen der zweiten Generation mit einer vollständigen Verifizierbarkeit. Auch das übrig gebliebene, vom spanischen Hersteller Scytl stammende und von der Post vertriebene System, genügt diesen Anforderungen bis jetzt nicht. Es kann also nicht davon gesprochen werden, dass das System „sicher“ sei.6
Vor diesem Hintergrund wird der Regierungsrat aufgefordert, folgende Fragen zu beantworten:
1. Was sind die Lehren für den Regierungsrat aus den beiden Bruchlandungen mit den Systemen des Consortiums und vom Kanton Genf?
2. Wie wird verhindert, dass es zu einem erneuten „Aus“ kommt? Welche Garantien werden von einem neuen Anbieter verlangt, dass innerhalb der versprochenen Frist und dem veranschlagten Budget ein System bereitgestellt werden kann, das allen Anforderungen des Bundes für die Zulassung von 100 % des Elektorats erfüllt?
3. Welche Investitionen wurden bis jetzt vorgenommen? Welche Investitionen müssen beim Wech-sel auf ein neues System erneut getätigt werden und welche sind Systemunabhängig? Mit welchen Kosten muss in den nächsten Jahren gerechnet werden?
4. Was bedeutet es für den Kanton Aargau im Allgemeinen und die Sicherheit und die direkte Demokratie im Speziellen, dass mit der Einstellung von CHVote nur noch ein einziges System zur Auswahl steht (und zwar eines von einer ausländischen Firma)?
5. Was bedeutet dies im Hinblick auf die von der staatspolitischen Kommission des Ständerats verabschiedete parlamentarische Initiative, die zwingend zwei E-Voting Systeme verlangt (pro Kan-ton ein System, aber gesamthaft zwei im Einsatz)?
6. Soll die Durchführung von Wahlen und Abstimmungen an (ausländische) Privat-Firmen delegiert werden dürfen?
7. Wie wird das Vertrauen der Bevölkerung in ein nicht zu durchschauendes System gewonnen?
8. Was bedeutet die bevorstehende eidgenössische Volksinitiative für ein E-Voting-Moratorium für die weiteren Pläne des Regierungsrats?